Nicht nur für Kinder und deren Eltern ist der Distanzunterricht eine gewaltige Herausforderung. Auch Lehrer gehen an ihre Grenzen. Ich darf mich mit einigen unterhalten und stelle fest: Sie vermissen den Kontakt zu ihren Schülern und sind häufig genauso überfordert, wie wir.
Bei meinen Gesprächen mit Lehrern fällt mir auf, dass die meisten ihren Beruf gewählt haben, da sie kontaktfreudige Menschen sind, die gerne in Gemeinschaft helfen, erklären und durchs Leben führen.
Niemals konnten sie sich eine Situation wie die jetzige vorstellen.
Die 45-jährige Annette berichtet mir, dass sie dachte, dass in der heutigen Zeit alle Kinder Zugang zum Internet haben.
Doch die technischen Probleme waren größer, als sie vermutete. Es nervte, wenn der Server komplett überlastet war und dauernd abgestürzt ist. Außerdem gab es Kinder, die gar keine Aufgaben abgeliefert haben – teilweise waren technische Hürden oder Überforderung der Familien ein Grund.
Außerdem bekommen Lehrer mit, dass einige Eltern den Eindruck haben, dass Pädagogen sich ein leichtes Leben machen. Vereinzelt mag das tatsächlich der Fall sein, doch die wenigsten Familien ahnen, wie viel bei Lehrern hinter den Kulissen läuft.
Das berichtet mir auch die 52-jährige Meike:
„Ich arbeite als Förderschullehrerin in der Inklusion – Hauptschule.
Ich kenne das öffentliche Meinungsbild zu den „bequemen Lehrpersonen“ – fern von und in Coronazeiten.
Ich fange mal ganz anders an: Ich würde es mir nicht anmaßen zu bewerten, wer was in welchem Beruf zu leisten hat, beziehungsweise tatsächlich leistet, da ich nur meine Berufstätigkeit mit allen ihren Aufgaben kenne.
Elischeba, du sprichst an, dass du um die Hintergründe nicht weißt – und das tut gut. Das ist ehrlich.
Eigentlich möchte ich mich gar nicht mehr in Rechtfertigungsgeschichten begeben.
Vielleicht helfen meine folgenden Ausführungen aber doch, die Hintergründe etwas zu beleuchten.
Ich habe im Januar 213 Zeugnis-Textpassagen für 16 SchülerInnen mit Förderbedarf aus vier verschiedenen Klassen geschrieben – etwa 65 Seiten. Dafür musste ich mich mit 17 Lehrpersonen digital zusammensetzen. In Deutsch, das ich federführend unterrichte, habe ich vier Tage in der Woche die Hausaufgaben (postalisch verschickt, da daheim keine Computer/Drucker vorhanden sind) von den 30 SchülerInnen korrigiert – komplett individuell.
Dazu kam die Unterstützung für die Anmeldung der 10er-SchülerInnen für die Berufskollegs; ich hab bei Lebensläufen, Motivationsschreiben gehofeln, mit den Berufskollegs telefoniert und geklärt welches Anmeldeformular für welche Anschlussperspektive gilt.
Dann mindestens zwei Videokonferenzen pro Tag mit den SchülerInnen.
Es waren 14 Stunden täglich. Ehrlich.“
Isabella fügt hinzu: „Ich denke, dass noch nie so viele Lehrer kurz vor dem Burnout standen, wie jetzt.“
Positiv sehen einige Lehrer die Fortbildungen, die sie erhalten haben, um sich auf die Situation einzustellen.
Generell finden viele den zweiten Lockdown einfacher zu handhaben, als den ersten. Was auch daran liegt, dass inzwischen mehr Kinder mit Laptop oder Tablet ausgerüstet sind. Einige Familien haben sich mittlerweile Hilfe von anderen Eltern geholt.
Was Lehrer herausfordert: Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten am Ball zu halten. Sie nicht zu unterfordern, aber auch nicht zu überfordern.
Annette berichtet weiter: „Ich habe in meiner Klasse schüchterne Schülerinnen und Schüler, die jetzt aufblühen. Das zeigt, dass beim Online-Unterricht nicht alles schlecht ist.“
Schwierig findet sie das Arbeiten mit Kindern, denen es komplett an Eigenverantwortung fehlt. Es seien welche dabei, die mit links die Einsen schreiben. Sich aber einfach nicht aufraffen können. Kinder, die sich nicht konzentrieren und leicht ablenken lassen. Deren Eltern reden gegen eine Wand.
Würde sie ausschließlich die Leistungen im Homeoffice benoten, gäbe es komplett andere Ergebnisse, als im Präsenzunterricht. Generell lernt sie mehrere Kinder von ganz neuen Seiten kennen.
„Außerdem bereitet der Online-Unterricht aufs Leben vor,“ findet die 45-jährige. Ihre Schüler mögen später vielleicht im Homeoffice arbeiten und müssen sich dann ebenfalls strukturieren.
Lehrerin Nadine fügt entschlossen – und gleichzeitig traurig – hinzu:
„Ich habe in meinen Ferien und parallel zum Unterricht Teamsfortbildungen gemacht. Mein Mann ist auch Lehrer und hat sich ebenso fortgebildet. Wir haben drei Homeschoolkinder in der 2., 5. und 8. Klasse. Der coronabedingte Todesfall in unserer Familie sei hier nicht erwähnt. Ich fühle mich in der weltweiten Pandemie weder bevorteilt noch benachteiligt. Ich gehe als Lehrerin, Frau, Mutter und Trauernde jeden Tag durch diese Situation wie alle anderen auch.“
Ein sehr interessantes Gespräch führe ich mit Claudia, welches ich komplett veröffentlichen möchte:
Elischeba: Was hat dich dazu bewogen, Lehrerin zu werden?
Claudia: Ich habe zunächst ein naturwissenschaftliches Studium mit anschließender Promotion absolviert. Während der Promotion war ich auch in der Lehre eingesetzt und das hat mich begeistert. Habe es im Anschluss sofort als Seiteneinsteiger geschafft, an eine Gesamtschule zu kommen. Berufsbegleitend hab ich das Referendariat gemacht und die pädagogischen Grundlagen nachgeholt.
Elischeba: Wie sieht ein Tagesablauf einer Lehrerin während dem Distanzunterricht aus?
Claudia: Um sieben Uhr stehe ich auf, mache Frühstück für meine beiden Kinder. Mein Großer ist selbst im Distanzunterricht.
Meist frühstückt er in Ruhe oder spielt auch noch etwas. In der Zeit fange ich an, eingereichte Schülerergebnisse durchzusehen und schreibe Feedbacks. Oft lobe ich dabei, denn es ist ja für alle eine besondere Herausforderung.
Videokonferenzen mache ich pro Kurs/Klasse einmal die Woche für 90 Min, um Fragen zu klären oder etwas zu erklären. Sonst arbeite ich viel mit Arbeitsblättern, Projektarbeiten und Referaten. Material und Quellen lade ich auf unsere Lernplattform hoch.
Zwischen den Videokonferenzen mache ich die Aufgaben mit meinem Sohn. Der braucht zwar nicht viel Hilfe, jedoch braucht er Publikum, sonst wird er bockig. An manchen Tagen ist es selbst mit viel Zuwendung ein Kampf. Da bin ich als Mutter genauso genervt wie andere. Aber nach 45 Min reiner Arbeitszeit ist er fertig. Danach bereite ich neues Material vor. Bei manchen Kursen sind die Schulbücher gut, bedürfen aber noch zusätzlicher Hilfestellung, die ich schreibe. Selbst fertige Arbeitsblätter vom Schulbuchverlag funktionieren nicht im Distanzunterricht. Ich habe insgesamt 12 Lerngruppen. Ich lege die Bearbeitungszeiträume immer so, dass ich jeden Tag zwei Gruppen kontrolliere und neues Material einstelle. Das klappt ganz gut.
Mindestens einmal pro Woche telefoniere ich meine Sorgenkinder ab, frage nach wie es so geht, gebe zusätzliche Tipps.
Elischeba: Was sehen Eltern häufig nicht, was jedoch mehr aufhält, als normaler Unterricht?
Claudia: Jeder Lehrer hat mehrere Lerngruppen, die auch unterschiedlich „wichtig“ sind. So habe ich zwei Kurse, die vor ihrem Abitur stehen, da muss ich einfach viel mehr tun, als für meinen Biokurs der 5. Klasse. Ich telefoniere viel, natürlich viel mehr mit den schwächeren Schülern und beantworte nahezu rund um die Uhr Mails.
Einzelne Tage bin ich auch in der Notbetreuung eingesetzt, dann wenn mein Mann für die Kinder zu Hause ist. An diesen Tagen kann ich kaum Distanzunterricht machen, denn wir haben an der Schule kein WLAN.
Elischeba: Welche Tipps gibst du Eltern, die mit dem Homeschooling überfordert sind?
Claudia: Es nicht perfekt machen zu wollen. Die Kinder sollten zu einer bestimmten Zeit anfangen und es nicht durch Meckern oder Quengeln schaffen, Aufschub zu bekommen. Dabei sollte man bis zu einem gewissen Rahmen auf das Kind eingehen, ein Morgenmuffel könnte vielleicht erst um 10 Uhr beginnen und ein anderes Kind ist um 8 Uhr konzentriert.
Ich rate auch immer, sollte es wirklich zu viel sein, was da an Aufgaben reinkommt, es dem Klassenlehrer oder dem Fachlehrer rückzumelden. Jeder Lehrer findet sein Fach natürlich wichtig, aber hat es manchmal gar nicht auf dem Schirm, dass es zusammen mit den anderen Fächer zu viel sein könnte.
Was aber häufig zu mehr Stress führt, ist, wenn Eltern ihren Kindern sagen, dass es zu viel ist. Dann jammern beide, also Kind und Eltern und schaukeln sich hoch. Man sollte Kindern klar machen, dass die Aufgaben erledigt werden müssen. Nicht perfekt, das machen die meisten Kinder in der Schule ja auch nicht. Im Lockdown ist es wichtiger, dem Tag durch die Aufgaben Stuktur zu geben und dass die Kinder sich mit dem Schulstoff weiter beschäftigen.
Elischeba: Ist die Sorge der Eltern berechtigt, dass Kinder wegen Homeschooling schlechtere Noten kriegen?
Claudia: Wir wurden von unserer Schulleitung angehalten, jede Einsendung von Aufgaben positiv zu bewerten, wenn deutlich wird, dass sich das Kind mit dem Thema befasst hat. Gerade die sonst stillen Schüler haben jetzt eine sehr gute Möglichkeit, ihre Noten zu verbessern.
Auch wissen wir Lehrer*innen, dass es eine besondere Situation ist und sind froh um jedes Kind, welches sich aufgerafft und sein Bestes gibt. Und sollte der Lockdown vorbei sein, werden wir darauf eingehen und verlangen nicht, dass alle Kinder auf dem sonst üblichen Stand sind.
Elischeba: Ganz lieben Dank für deine hilfreichen Antworten, liebe Claudia!
Mein gesamter Eindruck während all den Gesprächen, die ich geführt habe? Auch wenn Kinder im Distanzunterricht einiges fürs Leben lernen: Kinder, Eltern und Lehrer freuen sich auf den Präsenz-, beziehungsweise Wechselunterricht.
Denn es geht nichts über den zwischenmenschlichen Kontakt direkt vor Ort.
Wie seht ihr das? Wisst ihr, wie eure Lehrer über den Distanzunterricht denken?
Ich freue mich sehr auf Feedback.
Liebe Grüße von
Elischeba
Hinweis: Alle angegebenen Namen wurden geändert.
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Oh, das ist das Interview, auf das ich gespannt war. Das glaube ich, dass viele von ihnen gerade jetzt einen Burnout haben.
Autor
Ja, sie müssen sich komplett umstellen und haben einige Herausforderungen.
Dass Lehrer sich es gerade leicht machen, hab ich auch gedacht, bis ich erfahren habe, dass unsere Lehrerin drei mal die Woche vormittags in der Schule ist (wieso weiß ich nicht, hab ich von einer anderen Mutter erfahren).
Autor
Ja, manchmal hat man eine Meinung oder einen Gedanken zu einer Situation, der sich dann doch als ganz anders darstellt.
Ups, ich hab auch schon vor meinem Kind gejammert, dass es zu viel ist. Weil es aber auch tatsächlich so ist!!!
Autor
Stell dir vor: Das hab ich auch schon mehr als einmal gemacht 🙂 zusammen mit anderen Müttern, Leon hat es gehört.
Als Mutter kann ich nur bestätigen, dass schüchterne Kinder aufblühen (7. Klasse, Gymnasium, Bayern, Junge). Auch können die üblichen Unterrichtsstörer nicht so leicht einen Online-Unterricht stören. Aber ich muss auch sagen, dass gute Lehrer wirklich das Beste machen aus dem Distanzunterricht und schlechte Lehrer tun tatsächlich nichts: sie erteilen die Aufgaben. Den Stoff müssen die Kinder alleine durcharbeiten und verstehen, Abgaben rechtzeitig hochladen. Rückmeldung gibt es nicht, obwohl die Kinder das schon bei der Lehrkraft und auch beim Klassenlehrer gefordert hatten!
Was aber auch einem „aufgeblühten Schüler“ ziemlich viel Kraft und Motivation raubt, ist der Dauerstress, ohne Faschingsferien!